Weil ich eine recht schweigsame Zeit habe möcht ich jemand anders sprechen lassen. Einige der größten Wissenschaftler und Philosophen, die die Menschheit hervorgebracht hat wurden auf österreichischem Boden geboren – wenngleich sie im späteren Leben des öfteren mal das Weite gesucht haben – oder suchen mussten. So auch Karl Popper, der das Land 1937 Richtung Neuseeland verließ: “Popper musste seine Familie, die damals kranke Mutter, seine Schwester, Onkel, Tanten und Nichten zurücklassen. Sechzehn Familienangehörige wurden bis 1945 von den Nationalsozialisten ermordet.” (Wikipedia)
Karl Popper im Jahr 1990 (Public Domain Picture der Wikimedia Commons)
Hier ein paar – für mich höchst aktuell und provokant gebliebene – Passagen aus einer 25 Jahre alten Rede, mit der er sich “Gegen den Zynismus in der Interpretation der Geschichte” wandte (Textauszüge übernommen von Helmut Zenz):
Die zynische Geschichtsauffassung sagt, daß es – in der Geschichte, wie auch überhaupt – immer nur die Gier ist, die regiert: die Habsucht, die Geldgier, das Gold, das Öl, die Macht. So war es, sagt der Zyniker, und so wird es wohl immer sein; es ist so in der Despotie, und in der Demokratie ist es nicht viel anders – nur daß in der Demokratie die Heuchelei womöglich noch ärger ist. Ich halte diese Lehre nicht nur für falsch, sondern auch für unverantwortlich, gerade weil ein gewisse Plausibilität für sie zu sprechen scheint. Und ich halte es für eine dringende Aufgabe, sie zu bekämpfen.
Ich bin Optimist, der nichts über die Zukunft weiß, und der daher keine Voraussagen macht. Ich behaupte, daß wir einen ganz scharfen Schnitt machen müssen zwischen der Gegenwart, die wir beurteilen können und sollen, und der Zukunft, die weit offen ist und von uns beeinflußt werden kann. Wir haben deshalb die moralische Pflicht, der Zukunft ganz anders gegenüber zu stehen, als wenn sie etwa eine Verlängerung der Vergangenheit und Gegenwart wäre. Die offene Zukunft enthält unabsehbare und moralisch gänzlich verschiedene Möglichkeiten.
Ich muß die Hauptpunkte meines Optimismus sofort näher erklären:
1. Ich wiederhole noch einmal: Mein Optimismus bezieht sich ausschließlich auf die Gegenwart und nicht auf die Zukunft. Ich glaube nicht, daß es so etwas gibt wie ein Gesetz des Fortschritts. Es gibt das nicht einmal in der Wissenschaft; auch nicht in der Technik. Der Fortschritt kann nicht einmal als wahrscheinlich bezeichnet werden.
2. Ich behaupte, daß wir im Westen gegenwärtig in der besten sozialen Welt leben, die es je gegeben hat – und zwar trotz des Hochverrates der meisten Intellektuellen, die eine neue Religion verkünden, eine pessimistische Religion, dergemäß wir in einer moralischen Hölle leben und an physischer und moralischer Verschmutzung zugrundegehen.
3. Ich behaupte, daß diese pessimistische Religion nicht nur eine krasse Lüge ist, sondern daß es nie vorher eine Gesellschaft gegeben hat, die so reformfreudig war wie unsere …
4. Diese Reformfreudigkeit ist das Resultat einer neuen ethischen Opferbereitschaft, …
Was die Zukunft betrifft, so sollen wir also nicht versuchen zu prophezeihen, sondern nur versuchen, moralisch und verantwortlich zu handeln. Das macht es aber zur Pflicht, daß wir lernen, die Gegenwart richtig zu sehen und nicht durch die farbige Brille einer Ideologie. …
Die politische Freiheit – Freiheit von Despotie – ist der wichtigste aller politischen Werte. Und wir müssen immer bereit sein, für die politische Freiheit zu kämpfen. Die Freiheit kann immer verloren werden. Wir dürfen nie die Hände in den Schoß legen im Bewußtsein, daß sie gesichert ist. Die politische Freiheit ist eine Voraussetzung unserer persönlichen Verantwortlichkeit, unserer Menschlichkeit: Jeder Versuch, einen Schritt zu einer besseren Welt zu machen, zu einer besseren Zukunft, muß von dem Grundwert der Freiheit geleitet sein.